2008 “Racines Éphémères (64 variations on a theme by Claude Vivier)”. Music performance for 8 wandering musicians, obbligato conductor and live-electronics. Commissioned by Sammlung Essl Foundation for Wien Modern Festival.
Description
Die flüchtigen Wurzeln des Titels sind unsere Wurzeln als Bürger einer immer beweglicheren Welt, in der Nachbarschaft weniger wichtig scheint als e-mail, in der wir mit Menschen auf anderen Kontinenten um unseren Arbeitsplatz konkurrieren, oft sogar in Echtzeit, in der Familientreffen zu internationalen Events werden. Noch immer schlagen wir Wurzeln in unserer Umgebung, noch immer gibt es das Gefühl des Zuhauseseins, aber anders als früher ist es nicht mehr ein quasi “natürlicher”, alternativloser Zustand – wir wissen, dass wir uns unser Zuhause selber machen müssen, dass wir unsere Wurzeln ausreissen und neu einsenken müssen. Als Komponist frage ich mich, welche Folgen diese Realität für die Musik haben muss – und dieses Werk ist ein Versuch, solche Folgen musikalisch zu verstehen. Racines éphémères ist eine mobile Installation aus 8 Musikern und einem obligaten Dirigenten, in der sich Improvisation und Komposition auf unsicherem Terrain vorsichtig umkreisen. In 8 großen Variationsgruppen, die wiederum jede aus einem Thema mit 7 Variationen besteht, wird ein einziges musikalisches Konzentrat (eine nicht-klingende Idee) immer wieder neu verstanden und in andere Musikformen eingepflanzt – und dann auf verschiedenste Weisen variiert. Jeder Musiker hat dabei einen eigenen Pfad, in dem sich komponierte und nach Regeln improvisierend gestaltete Passagen ergänzen und abwechseln. Es gibt keine übergreifende Partitur, die Dirigentin weiß nicht, ob ein Musiker als nächstes nach gewissen Regeln improvisieren wird oder seine komponierten Noten spielen wird – sie dirigiert nur ein System aus Zeichen, das für jeden Musiker etwas anderes bedeuten kann – und sie gibt das Tempo, die Klangbalance und die Stimmung vor, in der diese vielfältige Überlagerung aus Interpretation und Komposition ihre Gestalt findet. Dabei sind die Musiker auch keineswegs statisch, sie wandern durch die Halle, finden sich zu immer neuen Duos, Trios und Quartetten zusammen, die ein Stück dieses Werkes gemeinsam gestalten, bevor ihr Zusammenspiel sich wieder auflöst. Trotz aller Freiheiten steht das Werk jedoch auch in der Tradition der ausgedehnten Variationszyklen der Vergangenheit von Goldberg bis Diabelli: Kompositionen, in denen die flüchtigen Wurzeln einer Melodie und ihre Wandelbarkeit in vielen Kontexten aufgezeigt worden sind.
This project was genereously supported by FQRSC, Essl Foundation for the Arts (Austria), SSHRC – CURA Grant “Life Stories of Montrealers Displaced by War, Genocide, and other Human Rights Violations”, Canada Research Chair in Public History (Dr. Steven High).